Ein junger Mann und eine junge Frau sitzen an einem Esstisch und genießen eine Mahlzeit.
Eine gemeinsame Mahlzeit ohne schlechtes Gewissen und ohne Streit zwischen den Generationen - vielleicht kann Kulturfleisch etwas zu diesem Szenario beitragen. Foto: Canva

Für die Welt geht's um die Wurst

Wenn wir unseren Fleischkonsum nicht ändern, muss sich eben das Fleisch ändern

Familienfest in einem netten Restaurant. Alle sind sie dabei: Eltern, Großeltern, Tanten, Neffen und Kusinen. Sogar Onkel Peter ist angereist – mit seiner neuen Partnerin Michaela.

 

Als Enkelin Lena die Kellnerin nach etwas Veganem fragt, kann sich Peter eine kleine Stichelei nicht verkneifen: „Und das Gemüse, hat das etwa keine Schmerzen?“. Lena lächelt müde, denn schon lange weiß sie, dass Diskussionen hier nichts bringen.

 

Ihr Freund Ben ist weniger friedlich. Er hält Onkel Peter vor, wie die Tiere gehalten werden und dass Viehzucht mit für den Klimawandel verantwortlich ist. Das will wiederum Peters Partnerin nicht auf ihrem Freund sitzen lassen. „Gehörst du auch zu diesen Klimaklebern?“, ätzt sie in den Raum.

 

Alle sind gereizt, die Stimmung ist dahin. Traurig schaut Oma Lise auf ihre Suppe. „Seit wann streiten Menschen so über das Essen?“, fragt sie Opa Otto. Doch der zuckt nur ratlos mit den Schultern und schiebt sich eine Kartoffel in den Mund.

 

Für mehr Harmonie am Esstisch

 

Wäre es nicht schön, wenn alle Menschen wieder in Harmonie ihre Mahlzeiten genießen könnten? Oma Lise dürfte weiterhin ihren Sonntagsbraten zubereiten, Onkel Peter könnte Schnitzel bis zum Umfallen vertilgen und Lena und Ben müssten sich dennoch keine Sorgen um Tierleid und Umweltbelastung machen?

 

Es gibt da etwas, das Hoffnung auf genau dieses Szenario macht. Es nennt sich... ähm Moment, einen richtigen Namen hat es leider noch nicht, oder besser gesagt: Es hat viele Namen. Manche nennen es Kulturfleisch, manche sagen auch Clean Meat, also sauberes Fleisch. In-Vitro-Fleisch, Zellfleisch und kultiviertes Fleisch sind auch beliebt. Ein Begriff dürfte jedoch am bekanntesten sein – obwohl die Verfechter der Innovation ihn gerne in die Wüste schicken würden.

 

Ein Name, den keiner will

 

Laborfleisch lautet die ungeliebte, aber doch schmissig klingende Wortschöpfung. Wer sie ausspricht, hat später Mühe, sein Gegenüber noch von den Vorzügen dieser Sache zu überzeugen. „Fleisch aus dem Labor? Ist ja eklig!“, so oder ähnlich hören sich nämlich oft die Reaktionen von Menschen an, die zum ersten Mal von dieser Erfindung hören.

 

Ist es ihnen zu verdenken? Essen aus dem Labor – das klingt doch auch nach „Frankenstein meets Big Pharma“, nach Chemiecocktail oder Petrischale mit Sauce. Allerdings ist der Begriff auch nicht wirklich fair.

 

Denn wenn wir konsequent allen Lebensmitteln, die einmal  biotechnologisch entwickelt wurden, die Vorsilbe „Labor“ verpassen würden, dann hätten wir ziemlich skurrile Produktnamen: Labor-Cornflakes, Labor-Cola, Labor-Aroma, Labor-Tütensuppe und vieles mehr.

 

Mikroorganismen machen längst ihre Arbeit

 

Selbst die gute alte Zitronensäure stammt in der Regel nicht von Zitronen sondern ist ein Ausscheidungsprodukt des Schimmelpilzes  Aspergillus niger. Und das mikrobielle Lab, das in vielen Käsesorten (zum Glück) das Lab aus Kälbermägen ersetzt hat, wird von den betreffenden Mikroorganismen auch erst dann produziert, wenn ihnen Lebensmitteltechniker auf die Sprünge helfen.

 

Das soll nicht heißen, dass Verbraucher sich alles als Nahrung unterjubeln lassen oder dass sie nicht kritisch auf die Inhaltsstoffe ihrer Mahlzeiten schauen sollten. Aber wenn wir mal ehrlich sind, spielt das Kriterium Naturbelassenheit für die Mehrheit der Konsumenten bei ihrem Wocheneinkauf so gut wie keine Rolle. Doch wenn dann von einer bahnbrechenden Entdeckung wie kultiviertes Fleisch die Rede ist, die Milliarden Tieren das Leben retten und den Klimawandel bremsen könnte, dann rümpft so mancher Fertigprodukt-Junkie plötzlich die Nase.

 

Davon abgesehen ist ja nicht alles schlecht, was erst durch Menschenhand entstanden ist: Wo wären wir ohne Schokolade, Bier und hin- und wieder eine Tiefkühlpizza? Alles Dinge, die in der freien Natur nicht vorkommen und trotzdem niemanden aus der Fassung bringen. 

 

Angst vor der Lokomotive

 

Schon immer haben Neuerungen Ängste in den Menschen hervorgerufen: Im 19. Jahrhundert warnten Experten beispielsweise vor der gerade erfundenen Lokomotive. Eine der Begründungen: Fahrten von mehr als 30 km/h würden die Gehirne der Menschen überfordern und eine Erkrankung namens „Delirium furiosum“ hervorrufen. 1

 

1877 grollte der damalige Herausgeber der New York Times, George Jones, in einem Artikel gegen die „abscheuliche Natur des Telefons“. Weil jedes Gespräch über die Telefondrähte abgehört werden könnte, würde sich irgendwann niemand mehr trauen, überhaupt irgendetwas zu sagen. Die Konsequenz wäre absolute Stille, so Jones. 2

 

Auch das Auto hatte zu Beginn keinen guten Stand. „Ich glaube an das Pferd, das Automobil ist eine vorübergehende Erscheinung“, soll der deutsche Kaiser Wilhelm II. einst gesagt haben. 3 Das Auto galt zu jener Zeit als gefährlich, viel zu teuer und unbrauchbar, weil es nur Kies- und Schotterwege gab. Getankt werden musste anfangs noch an Apotheken.

 

Präsident meidet Lichtschalter

 

Die Elektrizität wurde auch nicht gerade mit offenen Armen empfangen. Sie wurde einst sogar als „Teufel in den Drähten“ bezeichnet. Der amerikanische Präsident Benjamin Harrison beispielsweise ließ zwar 1891 das Weiße Haus elektrifizieren, aber seine Angst vor Stromschlägen war groß. Er fasste die Lichtschalter niemals selbst an, sondern ließ seine Mitarbeiter das Licht an- und ausschalten.

 

Vielleicht ist es ja so, wie der verstorbene britische Science-Fiction-Autor Douglas Adams („Per Anhalter durch die Galaxis“) gesagt hat: Bevor man 30 Jahre alt ist, werden alle neuen Erfindungen und Entdeckungen als tolle Sache empfunden. Doch ist man über 30, erscheint alles, was neu ist, immer mehr als Bedrohung. 5

 

Ja, kultiviertes Fleisch ist noch teuer und ja, noch ist das eine oder andere Problem nicht gelöst. Doch es birgt auch die Chance, das Zeitalter der Tierausbeutung zu beenden, einen riesigen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten und eine gesündere Protein-Quelle als herkömmliches Fleisch zu liefern – ohne Antibiotika und Keime, mit weniger Fett und Cholesterin.

 

Fleischkonsum wächst und wächst

 

Und ganz ehrlich: Irgendetwas müssen wir uns einfallen lassen. Denn die Weltbevölkerung wird immer größer und ihr Fleischhunger wächst überproportional. Die globale Fleischnachfrage steigt seit Jahrzehnten und hat sich seit den 1960er Jahren verfünffacht. Forderungen des Weltklimarats an die Menschheit, den Fleischkonsum zu reduzieren, scheinen ungehört zu verhallen. 6

 

Was also tun, wenn die Menschen nicht von Schnitzel, Steak und Hackepeter lassen, wenn sie sich partout nicht ändern wollen? Vielleicht sollten wir dann anfangen, den Weg des Fleischs auf unseren Teller zu ändern.