Berlin. Fleisch, das in einer Petrischale oder in einem Tank wächst - für die meisten Menschen klingt das nach Science-Fiction. Doch der Burger aus dem Labor existiert bereits. Und in Singapur werden sogar schon Chicken Nuggets serviert, für die kein Hühnchen geschlachtet werden musste. Weltweit forschen und arbeiten mittlerweile zahlreiche Unternehmen an dieser In-vitro-Technologie, die künftig Tierleid verhindern, die Umwelt schonen und die Ernährung der Bevölkerung sichern soll. Dennoch ist das Thema noch nicht wirklich bei jedem angekommen - vor allem Deutschland hinkt bei der Entwicklung hinterher.
Verein CellAg ist Anlaufstelle für Kulturfleisch-Interessierte
Das will der Verein CellAg ändern. Er ist angetreten, die Idee der zellulären Landwirtschaft im deutschsprachigen Raum bekannter zu machen. Aber nicht nur das: Die Organisation mit Sitz in Berlin versteht sich als Plattform und Anlaufstelle beispielsweise für Unternehmen, Wissenschaftler*innen und Journalist*innen. CellAg steht für „Cellular Agriculture” und bedeutet „Zelluläre Landwirtschaft”. Das Kern-Team besteht aus elf Personen, auf der Webseite des Vereins werden sie kurz vorgestellt. Ihre Hintergründe sind gut gemischt: Sie kommen unter anderem aus dem Tierschutz, aus der Forschung, der Wirtschaft und aus der Pharmabranche. Dementsprechend ist das Wohl der Tiere nicht die einzige Triebfeder dafür, bei CellAg mitzuwirken. Es geht ihnen auch um Klimaschutz, Ernährungssicherung und das wirtschaftliche Potenzial der Idee. Auch ihre Wirkstätten sind - sagen wir mal - etwas verteilt. Berlin ist genauso vertreten wie Zürich, Helsinki, Amsterdam und Kalifornien. Was und wer hat sie alle zusammengeführt?
Eine Französin gibt den Impuls
Genaugenommen kam der Impuls von einer Französin. Ihr Name: Nathalie Rolland. Sie hat in Frankreich bereits eine ähnliche Organisation (Agriculture Cellulaire France) gemeinsam mit anderen auf die Beine gestellt.
2019 traf sie bei einer Konferenz auf Ines Schiller. Schiller hat das Startup Bluu Biosciences mit aufgebaut, das sich mit der Entwicklung und Produktion von zellbasiertem Fisch beschäftigt. Beide waren sich einig: Auch in Deutschland müsste es eine Organisation geben, die über das Thema Kulturfleisch aufklärt sowie Akteure und Interessierte zusammenbringt.
Der Verein CellAg wird gegründet
Gesagt, getan. Die beiden Frauen verbreiteten die Idee in ihren Netzwerken und bald darauf kamen rund 50 Leute online zusammen, um sich auszutauschen. Aus ihnen gingen die beschriebenen elf Team-Mitglieder als harter Kern hervor. Zu ihnen zählt auch Clara Hagedorn, die anfangs zum Vorstand des Vereins gehörte.
Zu Beginn war sie zudem General Manager des Vereis CellAg. Sie teilte sich die Stelle mit Florentine Zieglowski. Mittlerweile füllt Florentine Zieglowski diese Position alleine aus, Clara Hagedorn ist nun für die Kommunikation des Vereins zuständig.
Schon immer hat sich Clara Hegedorn für die Themen Ernährungssicherung und kultiviertes Fleisch interessiert, und auch eine Masterarbeit darüber geschrieben. Beim Aufbau von CellAg war sie von Anfang an dabei. Oder besser gesagt: Gemeinsam mit der studierten Psychologin und Projektmanagerin Pia Voltz, die ebenfalls zum Vorstand gehört, hat sie die Entwicklung der Organisation vorangetrieben. Wie sah diese erste Phase aus?
Erste Phase von CellAg: Mit Interviews wird Bedarf ermittelt
"Wir haben recht schnell beschlossen, Interviews zu führen", berichtet Hagedorn. "Dafür haben wir mit rund 30 Personen gesprochen: Gründer*innen, Menschen aus der Wissenschaft, mögliche Investor*innen", zählt sie auf. Zwei Fragen hätten dabei im Mittelpunkt gestanden: "Was soll unser Verein leisten? Und was brauchen die Akteur*innen genau?", erzählt Hagedorn. Hierdurch sollte die Vereinsarbeit auf solide Füße gestellt werden. Außerdem sei es darum gegangen, ergebnisoffen an die Sache heranzugehen - ohne mögliche negative Aspekte rund um Clean Meat auszublenden, betont sie.
Energieverbrauch und Nährmedium sind Knackpunkte
Insbesondere zwei Knackpunkte habe man dabei identifiziert. Erstens: Wie hoch ist der Energieverbrauch der Technologie? Und zweitens: Wie steht es um die in der Kritik stehende Verwendung des sogenannten Fetalen Kälberserums bei den aktuellen Verfahren? Zum Hintergrund: Damit Kulturfleisch außerhalb eines Tiers wachsen kann, benötigt es ein Nährmedium. Insbesondere in der Forschungs- und Entwicklungsphase des In-Vitro-Fleischs wurde den Nährflüssigkeiten ein Serum zugesetzt, das von ungeborenen Kälbern stammt. Viele Unternehmen und auch die Hochschule Bremerhaven arbeiten mittlerweile jedoch an tierfreien Alternativen - beispielsweise aus Pflanzen und Mikroorganismen.
Im März 2021 wird CellAg zu einem Verein
"Nur, wenn diese Probleme gelöst werden können, wollten wir mit CellAg weitermachen", erläutert Hagedorn. Und sie machten weiter, denn bei ihren Recherchen kam die Gruppe zu dem Ergebnis, dass die Hürden zu bewältigen seien. Im März 2021 wurde daher der Verein gegründet. Im Vergleich zu den inhaltlichen Vorbereitungen sei dieser Schritt ziemlich mühselig gewesen, gesteht Hagedorn. "Die Registrierung als Verein hat sehr viel Zeit gekostet", sagt sie. Klar, auch die anderen Tätigkeit seien aufwendig gewesen, doch "ich habe es nicht als Arbeit empfunden", sagt sie. Alle Beteiligten seien so motiviert gewesen, dass sie die Extra-Schichten am Wochenende und abends gerne erledigt habe.
Interessierte können an Online-Stammtisch teilnehmen
Klärung der theoretische Grundlagen, Aufbau der Homepage, Gründung des Vereins - diese Punkte waren nun erledigt. Ein Online-Stammtisch, der jetzt auch für die Öffentlichkeit zugänglich ist, war parallel eingerichtet worden. Auch Anfragen beantwortet CellAg bereits. "Bei uns melden sich unter anderem Biotechnologie-Unternehmen, die spezielle Fragen haben. Manchmal sollen wir zudem Vorträge halten", berichtet Hagedorn. Student*innen, die Hausarbeiten zum Thema schreiben, habe man ebenfalls weiterhelfen können. "Wir kontaktieren darüber hinaus auch Zeitungen, um Sachen klarzustellen, die aus unserer Sicht in Artikeln falsch dargestellt worden sind", meint sie. Dies betreffe besonders häufig Aussagen zum Kälberserum und zum Energieverbrauch der Technologie.
Welche Vorbehalte gegen Kulturfleisch gibt es?
Wie sieht es denn laut CellAg generell mit den Widerständen gegenüber Kulturfleisch aus? "Die Fleisch- und Milchunternehmen sind gespalten", erläutert Hagedorn. "Manche sehen sich als Protein-Lieferant, egal, ob sie dafür herkömmliche oder neue Methoden anwenden müssen. Manche sehen die Technologie aber auch als Bedrohung an." Oft werde dabei argumentiert, dass In-Vitro-Fleisch unnatürlich sei. Verbraucher hätten ebenfalls Berührungsängste. "Viele finden es regelrecht eklig", hat sie beobachtet. Sogar vonseiten mancher Umweltschützer gebe es Bedenken. "Die sagen, wir brauchen weniger Tierhaltung statt eines neuen technologischen Wegs."
CellAg will aufklären - Newsletter, Blog und Jobbörse gehören dazu
Angesichts der Vorbehalte findet es Hagedorn umso wichtiger, für Aufklärung zu sorgen. Außer über die schon genannten Wege soll dies unter anderem auch über einen Newsletter und einen Blog geschehen. Außerdem soll CellAg eine Jobbörse anbieten. "Viele Startups suchen nach Wissenschaftlern, die in der Biotechnologie arbeiten. Die möchten wir zusammenbringen", sagt Hagedorn. Ein Eventkalender dürfe auf der Homepage natürlich auch nicht fehlen.
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Susanne van Veenendaal
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