Worum geht es? Jedes Jahr sterben 2,7 Millionen Menschen an Zoonosen. Das sind Infektionskrankheiten, die von Tieren auf Menschen übertragen werden. Ein Grund für die hohe Todeszahl ist, dass immer mehr Menschen Fleisch essen und deshalb immer mehr Tiere gezüchtet werden. Kulturfleisch könnte ein Ausweg aus dieser Misere sein, weil hierfür keine Massentierhaltung nötig ist und weil Kulturfleisch unter kontrollierten Bedingungen außerhalb von Tieren wächst.
Was BSE , Vogelgrippe und Corona gemeinsam haben
Die Bilder sind nicht einfach, anzuschauen: Zuerst hinkt die Kuh nur, dann scheinen ihr die Hinterbeine wegzubrechen, schließlich stürzt sie. Das arme Tier ist krank, es leidet unter BSE, auch als Rinderwahn bekannt. Es gibt viele Videoaufnahmen von BSE-Rindern wie diese im Internet. Millionen von Rindern wurden Anfang der 2000er Jahre vorsorglich getötet, weil man Angst vor einer Ausbreitung der Seuche hatte. Denn BSE ist eine Zoonose, also eine Krankheit, die zwischen Tieren und Mensch hin- und herspringen kann - so wie zum Beispiel auch Corona, die Pest, Salmonellen, Schweinegrippe, Tollwut, Ebola, Aids, Malaria und Vogelgrippe. Warum gehen Krankheitserreger überhaupt von Tieren auf Menschen über? Ganz einfach: biologisch gesehen ist der Mensch Teil des Tierreichs. 1
Gefahr durch Zoonosen: 2,7 Millionen Tote pro Jahr
Viele der Krankheitserreger hat es schon immer gegeben. Was sie zu einer so großen Bedrohung macht, ist das Verhalten der Menschen. Bevölkerungswachstum, Massentierhaltung, Globalisierung – all dies scheint die Ausbreitung von Zoonosen zu begünstigen. 2
Etwa 60 Prozent aller Infektionskrankheiten der Menschen sind bereits jetzt Zoonosen, stammen also von Tieren. Das schätzt die internationale Organisation für Tiergesundheit (OIE). 2,5 Milliarden Menschen erkranken daran weltweit pro Jahr, 2,7 Millionen von ihnen sterben. 3
Warum breiten sich Zoonosen aus?
Die Menschen werden zahlenmäßig immer mehr und essen zudem immer mehr Fleisch. Die Weltbevölkerung hat sich in den vergangenen 50 Jahren etwa verdoppelt. Nach Berechnungen der Vereinten Nationen (UN) hat die Weltbevölkerung am 15. November 2022 die Schwelle von 8 Milliarden überschritten. 1950 lebten nur 2,5 Milliarden Menschen auf der Erde, Anfang der 1970er Jahre waren es noch 4 Milliarden. Mehr als die Hälfte aller Menschen lebt übrigens in Asien. 4
Der weltweite Fleischkonsum hat sich in den vergangenen 5 Jahrzehnten aber nicht verdoppelt, nein, er hat sich sogar verdreifacht. 5 Allein in den vergangenen 2 Jahrzhnten sind die verzehrten Fleischmengen in gigantische Höhen geklettert. Weltweit wurden 2021 laut Statistischem Bundesamt rund 357,4 Millionen Tonnen Fleisch erzeugt. Das war ein Anstieg um 51 % gegenüber dem Jahr 2001. Die Geflügelfleischproduktion verdoppelte sich fast (+94 %). 6
Das Problem dabei: Je mehr Tiere der Mensch isst, desto mehr landwirtschaftliche Fläche wird benötigt, um diese Tiere zu ernähren. Das wiederum bedeutet, Weiden und Äcker breiten sich aus und verkleinern die Lebensräume von Wildtieren. 7 Das ist nicht nur für die Wildtiere oder das Landschaftsbild ärgerlich. Auch der Mensch erweist sich damit einen Bärendienst: Wildtiere sind es nämlich, von denen die meisten – sprich 75 Prozent - Zoonosen ausgehen. 8
Der Lebensraum der Wildtiere wird also immer kleiner. Automatisch müssen sie dadurch auf die landwirtschaftlichen Flächen ausweichen. Dort suchen sie nach Nahrung und verteilen ihre Hinterlassenschaften, Speichel und Co. auf die dort angebauten Futtermittel. Die sogenannten Nutztiere fressen diese Pflanzen später mitsamt den Erregern. Hier und da gibt es auch direkten Kontakt zwischen Wild- und Nutztieren. 9
Wie gelangen Zoonosen zum Menschen?
Nun haben sich also die Nutztiere angesteckt. Doch wie kommt der Erreger jetzt zum Menschen? Zu den Übertragungsmöglichkeiten zählen Schmierinfektionen, Bissverletzungen, tierische Nahrungsmittel und Zwischenwirte wie Mücken und Zecken. 10
Vor allem dem Weg über die Nahrungsmittel dürfte die größte Bedeutung zufallen: Wie schon beschrieben, möchten die Menschen das Fleisch der Tiere essen – aber auch deren Milch trinken und deren Eier verzehren. Die Verunreinigung mit den Erregern könne an jedem Punkt entlang der Lebensmittelkette auftreten, informiert die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa): Das heißt, in landwirtschaftlichen Betrieben, bei der Schlachtung der Tiere, bei der Verarbeitung der Lebensmittel oder bei der Zubereitung der Speisen. 11
Mehr Hygiene, mehr Sicherheit?
Nun könnte man meinen, dass man die Verbreitung von Zoonosen reduzieren könne, indem man einfach bei jedem dieser Schritte noch hygienischer vorgeht. Massentierhaltungsställe könnten noch hermetischer abgeriegelt werden, Mitarbeiter stärker geschult und in bessere Schutzanzüge verpackt, Konsumenten öfter und tiefgreifender informiert werden. Vielleicht könnte dies in so manchem Industrieland funktionieren. Aber wie realistisch ist es, dass diese Standards auf der ganzen Welt eingehalten werden? Die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags haben sich 2020 das Thema „Zoonosen und Tierhaltung“ angeschaut. Dem Ergebnisteil ist zu entnehmen, dass es einige Staaten mit den Biosicherheitsmechanismen in puncto Stallmanagement oft nicht so genau nehmen. Insbesondere die Zoonose-Entwicklung in weniger entwickelten Ländern - auch unter dem Aspekt der Lebendmärkte - sei laut Wissenschaftlern besorgniserregend. 12
Kann Kulturfleisch Zoonosen reduzieren?
Die Idee ist folgende: Kulturfleisch könnte das Ausmaß von Zoonosen eindämmen, weil erstens die Zahl der gehaltenen Tiere dramatisch reduziert wird, und zweitens das Fleisch unter kontrollierten Bedingungen in einem Behältnis produziert wird.
Der erste Punkt (keine Massentierhaltung mehr) dürfte definitiv Einfluss auf die Ausbreitung von Zoonosen haben. Denn wenn nicht mehr so extrem viele Tiere gezüchtet werden, wird auch nicht mehr so viel Futter benötigt. Der Verbrauch von Flächen durch die Landwirtschaft würde sich demnach ungemein reduzieren. Wildtiere behalten ihren Lebensraum, der Kontakt zu Nutztieren – ob direkt oder indirekt – geht auf ein Minimum zurück. Erreger könnten nur noch selten von Wildtier zu Nutztier und damit zum Menschen wechseln.
Der zweite Punkt (kontrollierte Bedingungen der Fleischproduktion) wirft bei einigen Forschern allerdings noch Fragen auf. In der Medizin und der Forschung wurde beim Tissue Engineering (Gewebezüchtung) bislang fötales Kälberserum (auch fetales Kälberserum genannt) für die Nährlösung benutzt, in der die Zellen gezüchtet wurden. Dieses Serum stellt aber in Bezug auf Krankheitserreger eine Schwachstelle dar, wie ein Autorinnenteam um Arianna Ferrari betont. „Eine nicht-tierische Alternative sollte daher gefunden werden“, meinen sie. 13
Das Umweltbundesamt sieht ebenfalls Handlungsbedarf in puncto Kälberserum. Schließlich könne es Keime für ansteckende Krankheiten enthalten. Dennoch ist das Umweltbundesamt optimistisch, dass durch Kulturfleisch die Gefahr durch Zoonosen reduziert werden kann. 14
Auch für das Good Food Institute (GFI) ist die Sache klar: Mit Kulturfleisch sei eine Fleischerzeugung ohne Pandemierisiko möglich. Mit kultiviertem Fleisch gehörten die Hotspots für Tierseuchen, sprich die Intensivtierhaltung auf engstem Raum, der Vergangenheit an. Kultiviertes Fleisch sei frei von krankheitsverursachenden Bakterien wie beispielsweise Campylobacter und Salmonellen. 15
Am Beispiel des Bakteriums Campylobacter kann man übrigens sehen, dass Zoonosen nicht nur für die Gesundheit der Menschen ein Problem darstellen. Auch die finanzielle Dimension ist beträchtlich. Campylobacter kann bei Menschen zu der Durchfallerkrankung Campylobakteriose führen. Mit jährlich rund 200.000 Fällen beim Menschen ist die Krankheit laut der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) die am häufigsten gemeldete lebensmittelbedingte Erkrankung in der Europäischen Union (EU). Die tatsächliche Zahl von Fällen werde allerdings auf etwa 9 Millionen pro Jahr geschätzt. Die Kosten, die allein durch Campylobakteriose für die öffentlichen Gesundheitssysteme und aufgrund des Produktivitätsverlusts in der EU entstehen, werden von der Efsa auf etwa 2,4 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt. 16
Fazit: Kann Kulturfleisch nun Zoonosen verhindern? Da Kulturfleisch noch nicht flächendeckend auf dem Markt ist, basiert eine Einschätzung letztendlich auf theoretischen Überlegungen. Alles spricht jedoch dafür. Punkt 1: Für Kulturfleisch werden keine landwirtschaftlichen Flächen in dem Maße benötigt, wie es bei Schlachtfleisch der Fall ist. Wenn Agrarflächen sich nicht immer weiter ausbreiten, bleibt mehr Lebensraum für Wildtiere. Diese kreuzen folglich nicht auf Äckern und Felder auf, und verbreiten keine Erreger von Zoonosen. Punkt 2: Kulturfleisch wird nicht im Tier sondern unter kontrollierten Bedingungen in Behältnissen erzeugt. Krankheiten können demnach nicht von Tieren auf Menschen übergehen, weil es zwischen ihnen gar keinen Kontakt gibt. Der Übertragungsweg über das fetale Kälberserum in der Nährlösung dürfte mit der Zeit verschwinden, da das Serum in der Branche zunehmend durch tierfreie Produkte ersetzt wird – so beispielsweise bei dem niederländischen Unternehmen Mosa Meat. 17
Quellen:
1. Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) - Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit, FAQ Zoonosen
2. National Geographic: Geschichte der Zoonosen: Wie Menschen durch ihr Verhalten Pandemien begünstigen
3. Heinrich Böll Stiftung, Fleischatlas 2021, Pandemien - Gefährliche Kontakte, S. 33
5. Heinrich Böll Stiftung, Fleischatlas 2021, Pandemien - Gefährliche Kontakte, S. 33
6. Statistisches Bundesamt: Internationales: Globale Tierhaltung, Fleischproduktion und Fleischkonsum
7. Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) - Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit, FAQ Zoonosen
8. Heinrich Böll Stiftung, Fleischatlas 2021, S. 33
9. Heinrich Böll Stiftung, Fleischatlas 2021, S. 33
10. Nationale Forschungsplattform für Zoonosen: Was sind Zoonosen?
11. Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa): Lebensmittelbedingte Zoonosen
12. Wissenschaftliche Dienste, Deutscher Bundestag, Ausarbeitung „Zoonosen und Tierhaltung“ 2020, S. 8
14. Umweltbundesamt: Die Zukunft im Blick: Fleisch der Zukunft, S. 86
15. Good Food Institute (GFI): Wissenswertes zum Thema kultiviertes Fleisch, S. 5
16. Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa): Die EFSA erklärt Zoonosen: Campylobacter
17. Vegan News: Mosa Meat veröffentlicht Rezept zur Kultivierung von Fett ohne Fetales Kälberserum
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Susanne van Veenendaal
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